Nach drei Jahren im Exil hatte sich auf der Insel allmählich eine kleine Gemeinschaft gebildet. Es waren mehr Frauen dabei. Die gemeinsamen Mahlzeiten waren köstlich, und der Duft von frischem Brot hing über unserem Haus. Die Inselbewohner fühlten sich zu uns hingezogen, aber nur wenige wagten es, mit uns zu essen und sogar das Abendmahl zum Gedenken an den Lehrer zu empfangen – wir waren Verbannte, die gegen einige römische Gesetze verstoßen hatten. Großvater hatte keine Angst vor seinem Status eines Verbannten. Ich weiß nicht, ob er sich überhaupt vor irgendetwas fürchten konnte – wo immer er gefragt wurde, kündete er vom SOHN GOTTes, und wenn er heilte oder von Dämonen befreite, erklärte er, mit welcher Kraft er das tat. Johannes und ich verteilten untereinander sowohl die Heilungen als auch die Austreibungen. Großvater überließ mir immer öfter die Dämonen. Und ich war dankbar, dass ich Erfahrungen sammeln konnte.
Der örtliche Priester schmiedete Intrigen – es war schwer für ihn, mit der Aufmerksamkeit und Dankbarkeit der Inselbewohner uns gegenüber fertig zu werden. Die Frauen, die unseren hellen und starken Geist spürten, kümmerten sich um uns, kochten Essen, nähten Hemden und Hosen für Johannes und mich und wuschen unsere Kleidung. Und weil so viel Vertrauen zwischen uns entstanden war und aus Dankbarkeit für die Heilung ihrer Kinder, erzählten uns die Frauen Gerüchte über den Priester. Der Priester, wurde gesagt, habe eine Vorliebe für böse Magie, er zauberte mit Feuer und Nadeln über unseren Abbildern aus Lehm und Lumpen (er war besonders mit dem Abbild von Johannes beschäftigt), er warf zusammengebundene Tontafeln mit unseren Eigenschaften und schlechten Wünschen für uns ins Meer…
Die Frauen erzählten auch, dass der Magier in letzter Zeit krank wurde und immer seltener im Tempel auftauchte. Natürlich wurde er krank – Johannes´ Abbild mit Nadeln zu stechen kommt ihn teuer zu stehen …
Unser Haus lag direkt am Meer. Eines Tages, als es stürmisch war, bemerkten Großvater und ich, dass einige Wesen, deren Umrisse an Rinder verschiedener Größe erinnerten, neben uns umherkreisten. „Von wem stammen die?“ – fragte ich mich. Das Gesicht des Priesters tauchte vor mir auf. Ich habe es Johannes sofort gesagt. Er nickte und sagte kurz: „Schau draußen nach. Er ist irgendwo da draußen, nicht weit weg, in Sichtweite.“ Ich sprang hinaus zum Meer und sah den Magier. Er saß auf einem Felsen im stürmischen Dunst, etwa zweihundert Meter von mir entfernt. Der Magier sah mich auch und sprang von dem Felsen. In diesem Moment erreichte ihn eine große Welle, warf ihn um und riss ihn ins Meer … Ich lief hinein und rief Johannes zu: „Eine Welle, er ertrinkt! “ “Hol ihn raus und komm zurück …“ Es war nicht leicht, aber ich habe ihn gezogen und es geschafft. Der Magier war so groß wie ich, aber schwerer als ich, ich zog ihn aus der Brandung hinaus, und als ich ihn atmend und mit spürbarem Puls vorfand, ließ ich ihn zurück …
– Mir war so, als habe ich Atalia vorbeihuschen sehen, als ich ihn ans Ufer zog … Wahrscheinlich hat sie es leid, den Streichen des Priesters zuzuschauen“, sagte ich und holte Luft.
– „Mag sein“, sagte der Großvater, „der Priester hat viel auf dem Kerbholz … Die Dämonen werden von uns verbrannt, sie können nicht zu uns durchdringen, es ist schwer für sie, bei uns zu sein. Aber wie der Priester die Dämonen in unsere Richtung lenkt, ist mir ein Rätsel – es liegt kaum in seiner Macht. Wenn wir es herausfinden, wissen wir auch, wie wir es stoppen können. Da die Dämonen gefüttert werden müssen, sind wir für sie unerreichbar; das bedeutet, dass sie sich an diejenigen wenden, die sie erreichen können, die sie belästigen können. Der Priester hat das schweres Spiel umsonst begonnen. Er wird die Strafe Gottes zu spüren bekommen.“
– „Großvater, lass uns Olivia fragen. Vielleicht weiß sie, wie der Priester seine Magie einsetzt.“
– „Ruf Olivia“, nickte Johannes.
Olivia erschien schnell, berührte unsere Hände und lächelte:
– „Nun, Euseus, jetzt sammelt niemand mehr Reisig in meinem Hain. Deine Freunde können mich nicht sehen, es gibt niemanden, der mich fragt.“
– „Wir werden uns etwas einfallen lassen“, sagte Großvater.
Und Olivia erzählte uns diese Geschichte! Manchmal spionierten sie und Atalia den Priester aus. Als Johannes und ich noch in einer Höhle am Meer lebten, bat der Priester die Götter der Elemente und der Meere um einen Orkan, der uns in der Höhle ertränken sollte. Er schien alles wie immer gemacht zu haben, aber dieses Mal reagierten die Götter nicht auf seine Bitten, Beschwörungen und Opfergaben. Der Magier erkannte, dass er einer bisher unbekannten Macht begegnet war, und zum ersten Mal zweifelte er an seinen eigenen Fähigkeiten. Aber das Feuer des Stolzes und des Neides brannte weiter, und der Priester konnte oder wollte es nicht in sich selbst löschen. Und dann schloss er einen für beide Seiten vorteilhaften Vertrag mit dem Geist, dem Hüter des Gebiets, in dem sich der Tierfriedhof befand. Tierkadaver wurden dorthin gebracht und in eine Grube geworfen.
Der Magier lenkte geistig die Energie seiner Opfer durch einen imaginären Korridor zum Hüter des Friedhofsgrundstücks. Der schickte uns, wie vereinbart, die unverwesten Abbilder der Tiere (der größeren und streitsüchtigen), damit wir hier mit ihnen fertig werden sollten.
– Ich werde mit dem Hüter des Friedhofs sprechen“, sagte Olivia, „und ihm sagen, dass es unsinnig ist, sich damit zu befassen. Euch macht es nichts, aber andere werden von diesen Dämonen krank. Und wenn Menschen krank werden und der Hüter etwas damit zu tun hat, wird er seine Macht verlieren. Und die Kraft der Opfergabe des Priesters kann wohl kaum diesen Verlust ausgleichen. Ich werde den Narren an diese einfachen Dinge erinnern, die manchmal in der Aufregung vergessen werden. – Olivia berührte unsere Füße und eilte zum Hüter des Friedhofs, um ihr Land, ihren Hain nicht so lange allein zu lassen …
Damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Eine Frau kam zu uns und bat um Hilfe, weil sie eine Tochter von dem Priester hatte. Der Priester lebte nicht mit ihnen zusammen, aber er liebte die Tochter und erkannte sie als sein Blut an. Ein Dämon ist in die Tochter eingedrungen, wahrscheinlich einer von denen, die zu uns geschickt wurden. Der Magier war zu seiner eigenen Überraschung nicht in der Lage, die Tochter zu reinigen, der Besetzer schickte ihn mit der Stimme des Mädchens fort.
– „Bring deine Tochter zu uns“, sagte Johannes zu der Frau.
Als die Frau ihre Tochter hereinbrachte, glaubte ich, ein Aufflackern des Erstaunens in Johannes´ Augen zu sehen darüber, dass der Dämon es geschafft hatte, in einen Menschen mit einem solchen klaren Blick einzudringen.
– „Euseus, mach dich an die Arbeit“, sagte er zu mir.
Dies war mein fünfter Dämon. Das Mädchen war sehr hübsch, sogar wunderschön. Und es war Frühling … Ich nahm die Arbeit unerschrocken an. Der Dämon heulte sofort auf.
– „Lass mich leben, Jünger Christi“, sagte er unverblümt. – „Habt Mitleid mit mir, Männchen … Das reicht! Das reicht! ich gehe raus, schick mich irgendwo hin …“
Ich war an diesem Tag großzügig, vielleicht weil es Frühling war und sich etwas in meinem Herzen regte, nicht gegenüber dem Dämon, sondern gegenüber dem Mädchen. Einen Dämon zu verbrennen hatte ich bis dahin noch nicht versucht und wusste auch nicht, wie. Und dann habe ich ausgerufen: „Geh zu dem, der dich geschickt hat!“ Und der Dämon ging irgendwohin.
Und zum ersten Mal blühte ein echtes Gefühl in mir auf. Sie war eine blauäugige Griechin. Und sie schaute mich mit diesen blauen Seen so entzückt an, als wäre ich ein wieder auferstandener Held der alten Welt. Und ich fühlte mich in dieser Situation wirklich wie ein Held …
Bald kamen Mutter und Tochter wieder zu uns. Die Mutter von Athena – so hieß das Mädchen mit den Augen wie blaue Seen – war nicht weniger aufgeregt als bei ihrem ersten Besuch bei uns.
Sie und ihre Tochter suchten, wie vereinbart, nicht das Gespräch mit Athenas Vater, damit sie ihm nichts erzählen mussten. Aber der Priester selbst rief sie und sah, dass die Tochter keinen Besetzer mehr hatte.
– „Wer hat das geschafft?“ – fragte der Priester zweimal eindringlich.
Die Frauen gestanden, dass es Euseus war, der Jünger des Johannes, der es getan hatte.
– „Welche Macht muss Johannes selbst besitzen, wenn sogar sein Jünger dies tun konnte?“ – sagte der Magier und forderte die Frau auf, Johannes einzuladen, zu ihm zu kommen.
– „Sag ihm, dass ich Hilfe brauche“, fügte der Priester hinzu.
Während die Frau sprach, tauschten Athena und ich funkelnde Blicke aus. Johannes hörte sich die Geschichte aufmerksam an und nickte:
– „Sag ihm, dass ich morgen komme.“
Die Frauen gingen fort. Johannes war still, mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen. Das hat er auch getan, als er das Geschehnis sah. Dann sagte er:
– „Der Magier ist besessen. Offensichtlich der Dämon, den du zu ihm geschickt hast … Lass uns morgen ein Wunder zum Ruhm deines Vaters vollbringen!“