Die Galeere brauchte zwei oder drei Tage bis zur Insel. Johannes betete viel auf Knien. Das tat ich auch. Es war erstaunlich, wie lange Johannes auf seinen Fersen sitzen konnte. Ich habe nicht gesehen, dass seine Knie weh taten oder irgendwelche Schmerzen hatten. Auf den langen Wanderungen mit der Botschaft zwischen den Dörfern sah er nicht müder aus als seine jungen Begleiter. Ich hatte ihn noch nie über Krankheit klagen hören.
Und jetzt auf dem Schiff war er nicht seekrank, obwohl ich, ein junger Bursche, mich mit den unangenehmen Anzeichen der Seekrankheit vertraut machen musste. Großvater war, wie man heute sagt, zäh. Dabei sah er überhaupt nicht wie ein Hüne aus …
Als ich mich an den rührenden Abschied an Land erinnerte, ging mir die Frage durch den Kopf: Keiner unserer Freunde, keiner der Passagiere und der Besatzung des Schiffes, und auch keiner der schaulustigen Jungen hatte die Anwesenheit der Hüterinnen, Olivia und Atalia, bemerkt. Keiner außer Johannes und mir.
– „Großvater, es scheint, dass du und ich die Einzigen sind, die Olivia und Atalia sehen. Das ist seltsam.“
– „So ist es.“
– „Wenn niemand sie sehen kann, dann gibt es sie entweder nicht, oder mit uns stimmt irgendetwas nicht“, dachte ich weiter. – „Was meinst du dazu?
– „Wer weiß, vielleicht stimmt etwas nicht mit uns“, antwortete Großvater ruhig. Dann fügte er hinzu: „Wenn bei den anderen alle stimmt, dann stimmt etwas mit uns nicht.“
– „Großvater, hast du solche Dinge gesehen, seit du ein Kind warst? Ich kann mich nicht erinnern, dich das gefragt zu haben.“
– „Ob seit meiner Kindheit mit mir etwas nicht stimmt? Das hast du sicherlich nicht gefragt“, lächelte Johannes. – Ich habe das als ich Kind noch nicht gesehen, mein Sohn … Ich habe einiges gesehen, seit ich mit dem LEHRER auf dem Berg Tabor war. Er forderte mich, Jakobus und Petrus auf, Ihn zu begleiten. Er ging dorthin, um zu beten. Er hat gern allein gebetet, aber damals hat Er uns eingeladen. Auch wenn Er getrennt betete. Ihr kennt diese Geschichte – ich habe sie erzählt und sie steht im ersten Evangelium. Petrus wollte dort vor Verwunderung sein Zelt aufschlagen, um dort zu bleiben. Er war so beeindruckt …
Dann erzählte ich dem LEHRER, dass ich nach der Begebenheit auf dem Berg Tabor mehr zu sehen begann als zuvor. Und wenn es nur Engel gewesen wären , dann wäre alles in Ordnung. Und er antwortete: ´Ihr wolltet doch ein Wunder. Jetzt habt ihr eins. Ihr habt selbst darum gebeten.´ ´Wie hießen die Engel?´ – fragte ich Ihn nach diesen beiden leuchtenden Wesen. ´Ach was, da waren Engel?´ – fragte Er mit einem Lächeln zurück. Ich sage: ‚Ich weiß nicht, was sie sind.´ ´Ich auch nicht´, antwortet RABBI.
Der LEHRER hatte einen derartigen Humor, der manche sofort zum Lachen brachte und bei anderen erst nach Jahren ankam. Wir waren zu schüchtern, um nachzufragen, wir konnten es nicht. Aber es wäre notwendig gewesen …
Du willst wahrscheinlich fragen, ob die Hüter wirklich existieren. Ich glaube, es gibt sie – wir sehen beide die gleichen Dinge … Ich habe auch ein Auge für Dämonen, ich sehe sie sogar noch deutlicher als die Hüter. Was bedeutet das? Wenn ein Dämon in einem Menschen steckt, geht es dem Menschen schlecht. Aber wenn dem Dämon richtig eingeheizt wird, dann wird der Mensch glücklicher. Richtig? Richtig! Das bedeutet, dass Dämonen existieren.“
– „Großvater, es gibt noch eine Begebenheit. Olivia zeigte mir, wo der Schatz war, und er war wirklich da. Dank dessen bist du am Leben, wir sind am Leben, und wir gehen auf Lebenszeit ins Exil. Olivia existiert also!“
– „Das ist das Argument“, sagte Johannes. – „Olivia existiert also definitiv in unserem Leben. Und wenn die Kräfte der Erde mit uns sind, bedeutet das, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Und die Dämonen haben Angst vor uns; das spricht auch dafür, dass wir den richtigen Weg gehen … Die Welt um uns herum ist sehr groß. Und wir sind wie blinde oder halbblinde Kätzchen – wir sehen vieles, was es gibt, und wir sehen vieles, was es nicht gibt. Und vieles verstehen wir nicht … Aber können wir alles verstehen? Deshalb müssen wir glauben.“
– „Großvater, ich hatte am Tag zuvor einen Traum. Ich habe meine Mutter gesehen. Ich habe schon lange nicht mehr von ihr geträumt … Ich blieb auf einem Hügel stehen, der Ort war mir fremd. Und ich wusste, dass ich weitergehen sollte, irgendwo nach oben. Aber ich wusste nicht, warum ich nach oben gehen sollte und was dort geschehen würde. Und wo ist das ´wo´? Im Inneren herrschte eine Verwirrung – wie soll man irgendwohin gehen, ohne zu wissen, wohin? Was tun? Ich wollte unbedingt nach Hause gehen, wo mir alles vertraut ist. Ich drehte mich um und sehe unten im Tal meine Mutter und das Haus. Mama pflanzte einen Baum in das Loch, das sie vorbereitet hatte. Ich war innerlich ganz zerrissen, ich wollte zu ihr eilen. Sie sah mich, winkte mir zur Begrüßung zu … Dann winkte sie mir mit einer Hand zu: Geh hoch. Und ihre Stimme erklang: ´Euseus, mein Sohn! Gehe nicht zurück, bleib nicht stehen, Du wirst auf dem Wege verstehen, weshalb und wohin …´“
Wir schwiegen. Johannes´ Augen wurden feucht und er sprach als erster:
– „Ich möchte Buße tun, mein Sohn. Als der Statthalter mich fragte, welche Leute die Römer angegriffen und Prochor befreit hätten, habe ich gelogen. Ich sagte, ich habe sie nicht gesehen, also weiß ich es nicht. Aber ich sah dich … Ich konnte nicht anders antworten… Möge meine Unwahrheit dem Guten dienen! Vergib mir, Vater.“
… An dem Tag, an dem wir uns der Insel nähern sollten, brach ein Sturm aus. Poseidon, unterstützt von Atalia, tat sein Werk: Die Welle war gewaltig, das Schiff schwankte stark, vom Sturm wurde der Mast zerbrochen. Eine Welle der Vorsehung warf zwei Männer über Bord, die leichtsinnig auf das Deck hinausschauten: einen Krieger der Wache des Statthalters und den Sohn des Statthalters. Der Statthalter rief Johannes etwas zu:
– „Bete, alter Mann! Wenn mein Sohn überlebt, werde ich an deinen Gott glauben!“
Als der Sturm abflaute und die Ruder unter den Sklaven wieder im Takt zu schlagen begannen, konnten wir durch den sich verziehenden stürmischen Nebel die Umrisse der Insel erkennen, die sich uns näherte. Zwischen uns und der Insel schwammen zwei Delfine dicht beieinander. Auf einem von ihnen lag ein Mann. Der zweite Delphin blieb dicht bei dem ersten, damit der Mann nicht ins Wasser rutschte …
– „Ehre sei dem Vater!“ – sagte Johannes leise, während er sich die Augen zuhielt.
Die Delphine stießen den Mann an Land und schwammen aufs Meer hinaus. Die Galeere legte nach kurzer Zeit am Ufer an. Es stellte sich heraus, dass der Mann noch am Leben war. Er war der Sohn des Statthalters …
Auf der Insel bewohnten wir zunächst eine Grotte nahe der Küste – mit Genehmigung des Statthalters ohne Aufsicht der Wachen. Wohin sollte man auch laufen – das Meer war unendlich. Schiffe legten hier nur selten an, und wenn, dann nur in dieser Bucht; sie wurden von den Behörden streng kontrolliert. Nicht nur wegen des Alters von Johannes wollten wir nicht fliehen; es war möglich, auf der Insel die Frohe Botschaft zu verbreiten und eine Gemeinde aufzubauen; hier lebten auch Griechen.
Nach fünf oder sechs Monaten unseres lebenslangen Exils durften wir mit dem Bau unseres eigenen Hauses beginnen. Ich war bereits geübt im Bauen, und die Männer, die in der Nähe wohnten, halfen gerne mit, in dem aufrichtigen Glauben, dass der Gott des greisen Johannes ihnen eine gute Ernte, gesunde Kinder, ein einfaches Wohlergehen und das Notwendige für ein Leben auf der Erde bringen würde. Jeder auf der Insel wusste, dass der Gott des Ältesten den Sohn des Statthalters, der bereits in der tobenden See ertrunken war, nach dessen Gebet gerettet hatte. Gute Nachrichten verbreiten sich manchmal schneller als schlechte, wenn sie von guten Menschen überbracht und angenommen werden. Außerdem haben Johannes und ich erfolgreich Kinder mit verschiedenen Beschwerden behandelt, indem wir über sie gebetet und ihnen einen Teil ihrer Schmerzen abgenommen haben. Und wir haben ihnen erklärt, dass es keinen Schmerz gibt, wenn sie anderen, einschließlich Tieren, keinen Schmerz zufügen. Wir haben den Kindern beigebracht zu beten, das Wasser zu segnen und dieses Wasser öfter zu trinken, vor allem, wenn man krank ist. Die Kinder vertrauten uns, wurden nicht krank und verbreiteten die Botschaft vom neuen Wundergott auf der Insel. Und natürlich verlangten wir keine Gebühren für unsere Behandlung, was unsere Popularität deutlich erhöhte …
Mit unserer Ankunft ging die Beschäftigung des örtlichen Priesters, des Dieners im Apollo-Tempel, merklich zurück. Mit dem Rückgang des Aufwands für die Heilung der Heiden und der damit verbundenen geringeren Entlohnung begann auch das Ansehen des Magiers zu sinken. Der Magier, auch Priester genannt, war in der Austreibung von Dämonen geübt. Er nutzte seine enorme natürliche Energie und bestimmte Zaubersprüche mit für Dämonen unerträglichen Schwingungen. Der Priester nutze auch primitive Magie – um Verderben zu bringen, Wasser für verschiedene Zwecke zu besprechen, zu verhexen, wahrzusagen, Abbilder seiner beabsichtigten Opfer mit Nadeln zu stechen, im Meer zu ertränken oder zu begraben – und verschiedene andere böse Dinge zu tun, die vor allem sein eigenes Karma verschlechterten.
Und die einheimischen Frauen sagten auch – Frauen reden immer gerne, weil ihre Männer häufig außer Haus sind -, dass ein Priester das Geheimnis kennt, wie man einen Dämon in einen dafür auserwählten Mann lenken kann. Und es wurde auch gesagt, dass gerade Frauen den Magier für eine besondere Gegenleistung baten, einen Dämon in jemanden zu schicken.
Doch seiner Fähigkeiten und seines guten Gemüts wegen fanden die meisten, die von Dämonen gereinigt werden wollten, ganz natürlich den Weg zu Johannes. Er verlangte kein Geld für die Arbeit und bezog mich schließlich in die Behandlung ein, wodurch sich unsere Leistung fast verdoppelte – um das anderthalbfache, genauer gesagt.