Das Meer führte uns bei mildem, sonnigem Wetter und mäßigem Rückenwind nach Hause – Athalia lächelte uns zu. Während der zwei Tage haben Johannes und ich Vieles besprochen. Das meiner Meinung nach Wichtigste werde ich mitteilen.
– „Nun, mein geliebter Heide, unser Exil ist vorbei. Genauso unerwartet, wie es begann. Ehre sei dem Vater! Lasst uns nach Hause segeln“, lächelte Johannes dem strahlenden smaragdgrünen Tag zu. Ich dachte, ein solches Lächeln ist alterslos – dasselbe Lächeln könnte das eines Jungen oder eines hundertjährigen Weisen sein. Und Johannes war schon beinahe neunzig, vielleicht sogar schon in den Neunzigern.
– „Ja, Großvater, mein lieber Jude! Nach Hause!“ – ich bestaunte die Natur zusammen mit meinem geliebten Großvater.
– „Was für ein Jude bin ich jetzt? Ich bin ein Christ, nur dass ich nicht beschnitten bin …“ Und nach jüdischem Verständnis bin ich jetzt auch ein Heide.“
– „Großvater, wenn ein Heide jemand ist, der viele Götter anerkennt, dann waren Juden schon immer Heiden“, lächelte ich dem Großvater zu.
– „So ist das also!“ – Johannes lächelte. – „Das war ein theoretisches Gespräch. Ich bin ja nicht dein Rivale, mein Sohn. Obwohl, ich erinnere den Psalm: ´Ich weiß, wie groß der Herr ist, unser Herr ist größer als alle Götter.´ Ich summe dieses Lied manchmal.“
– „Das stimmt, Großvater! So steht bei den Griechen und Römern Zeus-Jupiter über allen Göttern.“
– „Dem kann man nicht widersprechen, mein Sohn. Und die Perser haben einen, der die Welt erschaffen hat. Auf Persisch heißt es Ahuramasda, wenn ich mich recht erinnere…“
Großvater sah mir liebevoll in die Augen. – „Mach dir um Athena keine Sorgen. Und mach dir keine Sorgen um dich selbst … Ihr habt es gut gemacht, wirklich. Du hast rechtzeitig mit ihr gesprochen. Gut, dass du das Gespräch nicht aufgeschoben habt. Bei ihr wird es sich ergeben, zu wem sie sich hingezogen fühlt. Und du wirst zuversichtlich den Weg gehen, den du gehen musst.“
– „Danke, Großvater, dass du mich rechtzeitig gewarnt hast. Ich hätte etwas falsch gemacht“, kratzte ich mich am Hinterkopf.
– „Du hättest nichts falsch gemacht … Reden ist eine Sache. Zuhören eine andere. Du bist ein guter Zuhörer, mein Sohn“, lächelte Johannes dem Meer und dem Tag zu. – „Und was deine Reise in den Osten angeht … Wir werden zu Hause entscheiden, wann du gehst. Vielleicht wird unerwartet deine Hilfe in der Gemeinde benötigt. Siehst du, das Exil war doch nicht auf Lebenszeit; lebe ich doch noch.“
– „Großvater, du bist zeitlos. Und in bester Verfassung. Du hast gesehen, wie viele Frauen gekommen sind, um uns zu verabschieden, das ist alles dein Verdienst.“
– „Vielleicht schaffe ich es, bis RABBI zurückkommt. Er scherzte einmal darüber, als er mir, Petrus und meinem Bruder am See erschien.“
– „Ein paar tausend Jahre – was ist das schon … Den Priester-Astrologen kann man glauben, denke ich jetzt. Und nach deren Berechnungen wird Mitra in zweitausend Jahren das Zeitalter der Fische in das Zeitalter des Wassermanns übergehen lassen. Dann wird der Gesandte wiederkommen. Das behauptet Iridis. Und er hat Gründe – den Dämon, den du ausgetrieben hast, und alles, was ihm zuvor widerfahren ist.“
Johannes lachte:
– „Nicht nur Iridis ist dieser Meinung. Erinnerst du dich an das, was im aramäischen Evangelium und im Matthäus-Evangelium geschrieben steht?“ – Johannes zwinkerte mir jungenhaft zu. – „Aus dem Osten waren Gelehrte der Astrologie nach Jerusalem gekommen. Die Priester kamen mit Geschenken, um den neugeborenen König der Könige zu ehren, weil Sein Stern aufgegangen war – nach ihren alten Berechnungen standen die Sterne so, wie es bei der Geburt des Himmelsboten der neuen Zeit sein musste. Und genau da wurde der Junge Jeschua in Bethlehem geboren. Die Priester irrten sich nicht … Also, Euseus, werde ich noch zweitausend Jahre lang mit der Botschaft um die Welt reisen müssen, so die Berechnungen von Iridis, dem Diener Mitras … Ich hätte nichts dagegen, wenn du nur hier noch bei mir bliebest.“
– „Großvater, ich habe nichts dagegen. Aber es gibt eine Frage. Wenn wir mit der Nachricht gehen … wie dann? Zweitausend Jahre als Alleinstehende?“
– „Darauf gebe ich keine Antwort“, sagte Johannes. – „Wenn du mit der Botschaft in den Osten gehst, lass dir von den Priestern dort sagen, was deine Sterne dazu sagen.“
Ich lachte.
Großvater fuhr fort:
– „Warum du nach Persien gehen sollst, Euseus … Als ich mit Prochor mit der Botschaft des RABBI in die Dörfer ging, traf ich eine Familie. Sie sind Griechen, Nachkommen eines Kriegers, der einst mit der Armee Alexanders des Großen nach Persien zog. Dort lernte dieser Krieger den Glauben der Perser kennen, sah die Priester in weißen Gewändern, die das Feuer anbeteten und es ewig hüteten. Ein Priester, der mit der Wissenschaft der Sterne vertraut war, beschrieb dem Krieger sein Schicksal. Das Schicksal hat sich schließlich genau so erfüllt … Der Krieger nahm sich dort eine Frau und kehrte mit ihr nach Hause zurück … Ihre Nachkommen, mehrere Familien, bewahren diesen Glauben an den Gott des Lichts. Feuer ist ein Symbol für den Gott des Lichts, den Schöpfer der Welt. Deshalb ist es heilig und wird gehütet.
Opfer gibt es bei ihnen nicht. Sie glauben, dass es den Tod nicht gibt. Das ewige Leben liegt vor dir, wenn du das jetzige Leben in Reinheit bewahrst. Aber dazu muss sich jeder Mensch von Jugend an entscheiden, wem er dient, dem Guten oder dem Bösen. Die Entscheidung muss unabhängig und bewusst sein. Diejenigen, die sich für das Gute entscheiden, haben die Verantwortung, die Regel zu befolgen: gute Gedanken, gute Worte, gute Taten …
Sie warten auf den Gesandten Gottes. Er kam vor tausend oder mehr Jahren und brachte die Lehre. Jetzt warten sie wieder auf ihn … Also gehst du zu ihnen und sagst ihnen, dass Er gekommen ist …“
Wir haben in diesen Tagen, die von einer leichten salzigen Brise erfüllt waren, das Thema des Alten Testaments im Verhältnis zur Neuen Lehre angesprochen.
– „Johannes, wenn ich mit der Botschaft unterwegs bin, werde ich das Alte Testament nicht mitnehmen … Wenn ich mit Leuten über RABBI spreche und ihnen von der Lehre erzähle, verwende ich sehr selten die Gesetze des Mose. RABBI spricht nicht über Vergeltung, Er lehrt die Liebe … Und ich sehe in den Evangelien und in der Apostelgeschichte, dass die Lehren der alten Propheten hauptsächlich dazu benutzt wurden, den Juden zu beweisen, dass RABBI der Messias ist, der Gesalbte des Schöpfers. Warum beweisen, wer der LEHRER ist? Diejenigen, die reinen Herzens sind, werden sehen, aber die Unreinen brauchen es nicht … Warum beweisen, wenn es unnötig ist!“
– „Nimm das Alte Testament nicht mit, Euseus. Du hast ihn nicht angenommen, du hast den Bund mit dem Herrn der Heerscharen, Zebaoth, nicht geschlossen. Hier stimme ich mit Paulus überein: Warum sollten die Heiden einen Bund erfüllen, den sie nicht geschlossen haben? Diejenigen, die ihn angenommen haben, sollen es tun …
Und was du von den alten Propheten brauchst, weißt du bereits. Du hast einen neuen Bund mit dem Vater der Liebe und des Lichts geschlossen, indem du den Weg beschritten hast, den RABBI uns offenbart hat. Wenn du erfüllst, was RABBI gebracht hat, wird auch das Alte erfüllt werden.“
– „Großvater, aber ich bin mit dem zweiten Teil von Paulus´ Ansicht nicht einverstanden. Ich glaube nicht, dass das Alte Testament von denjenigen Juden erfüllt werden muss, die das Neue Testament angenommen haben. Andernfalls … hör zu, Großvater, ich muss das aussprechen“, sagte ich eilig.
Großvater legte seinen Arm um meine Schulter, als wir auf dem Deck standen und uns gegen die Bordwand lehnten. Johannes nickte stumm mit dem Kopf und starrte in die Ferne.
– „Andernfalls“, fuhr ich fort, „wie soll ein Mensch das Prinzip ‚Auge um Auge‘ erfüllen, wenn der RABBI gesagt hat, dass man die andere Wange hinhalten soll, wenn man auf die eine geschlagen wurde … Wie soll ein Jude, der CHRISTUS angenommen hat, das Prinzip ‚Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind‘ erfüllen, wenn Christus gesagt hat: ´Liebt eure Feinde, betet für sie´. Und RABBI sagte auch: ´Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, treibt seine Frau in die Sünde der Untreue, das heißt, er sündigt.´ Und den Juden wird gesagt: ´Wer sich von seiner Frau scheiden lässt, ist verpflichtet, ihr eine Scheidungsurkunde auszustellen.´
Wie ist das, Johannes? Zu den Juden wurde gesagt: ´Dem Fremden verleihe mit Gewinn, nicht aber deinem Bruder, dann wird dich der Herr segnen.´ Und RABBI sagte für alle: ´Wenn du Geld hast, dann gib es nicht mit Gewinn, sondern gib es dem, von dem du es nicht zurückholen willst!´ Und das ist noch nicht alles … Man kann auch über das Fasten sprechen und über unreine Speisen, die gar nicht unrein sind … Ich werde das nicht weiter aufzählen, jeder kann es lesen, vergleichen und sich die gleichen Fragen stellen.“
– „Ja, mein lieber Grieche … Die Liebe liebt, sie weiß nicht, wie man hasst, auch nicht den, der dich als Feind betrachtet. Sie ist nicht fähig, ein Pfand zu fordern, sie verschenkt alles. Sie erwartet keine Gegenleistung, sonst wäre es keine Liebe. Die Liebe hat kein auserwähltes Volk, sie hat alle Menschen auf der Erde auserwählt …“
Es gab noch ein weiteres Thema, das meinen wissbegierigen Geist erregte. Es war die Erscheinung von CHRISTUS in einer Vision von Paulus. Der Inhalt der Vision selbst interessierte mich nicht so sehr, obwohl ich neugierig war, was Paulus sah. Es hat mich auch nicht gestört, dass die äußeren Ereignisse der Erscheinung in der Apostelgeschichte des Lukas dreimal unterschiedlich beschrieben werden. Ich interessierte mich für eine Frage, die mir damals grundlegend erschien.
– „Großvater, lass uns das gemeinsam untersuchen. Aus dem Brief des Paulus geht hervor, dass er die Vision hatte etwa drei Jahre, nachdem RABBI zum VATER ging. Ob es nun zwei Jahre später oder ein Jahr später war, ist völlig unwichtig. Das Wesentliche ist, dass RABBI schon fortgegangen war, zum VATER aufgestiegen war und gesagt hat, dass Er eines Tages wiederkommen würde, um zu beenden, was Er begonnen hat. Und zu keinem von euch, Seinen Jüngern, ist Er wiedergekommen – Er ist in der WELT des VATERS bis zu der Stunde, die selbst den Engeln unbekannt ist. Plötzlich kommt Er zu Paulus und gibt ihm eine Aufgabe, die nur Paulus kennt. Paulus erzählt also anderen von seiner Mission, auf die er sich schon im Mutterleib vorbereitet hat … Wie ist das alles zu erklären? Ich möchte dieser Frage wirklich auf den Grund gehen. Ich kann das einfach nicht verstehen.“
– „Ich kann nur eines sagen: Gottes Wege sind unergründlich. Natürlich ist das keine Antwort für dich. Aber ich habe im Moment keine andere. Du könntest versuchen, die Frage zu ändern. Nicht ´wie konnte es geschehen?´, sondern ´wozu hat es geführt?´ oder ´was hat es bewirkt?´ “
– „Großvater, das führt schon zu zwei unterschiedlichen Ansichten über RABBI. Und sogar zu unterschiedlichen Auffassungen darüber, was Erlösung ist. Das heißt, zwei verschiedene Christentümer. Und was der Wert eines solchen Reiches ist, das hat RABBI erklärt … Aber schließlich ist Paulus nicht mehr da, wir können nicht mit ihm reden, wir können nichts klären …“
– „Wir müssen also auf dem aufbauen, was wir bereits haben. Und fortfahren, die Botschaft aufrichtig weiterzutragen – den GEIST des RABBI. Reine Herzen werden das REINE aufnehmen, andere nehmen nach ihrem Vermögen. Deine Frage ist interessant. Wenn sie in dir lebt, bedeutet das, dass du nach der Antwort suchen musst. Solange ich bei dir bin, habe ich immer ein offenes Ohr für dich.“
– „Großvater, zu den Auswirkungen der Erscheinung des Paulus, zu seinen Briefen und Botschaften an die verschiedenen Kirchen – und es gibt viele Briefe, mehr als von jedem von euch … Mir erscheint es, dass RABBI, der wahre RABBI, Paulus nicht erschienen ist …“
– Das mag sein, mein Sohn. Wir werden auf jeden Fall die Frohe Botschaft von RABBI, den wir kennen und lieben, weiterhin verbreiten … Wir haben keine andere Wahl … Und wir lernen vor allem diejenigen zu lieben, die wir noch nicht verstehen, die uns Prüfungen bereiten.“